Bessere Bildung und zielgerichtete Ernährungsinformationen für Kinder und Erwachsene, die Abschaffung von Subventionen für die industrielle Landwirtschaft und die Entwicklung (herz)gesünderer Lebensmittel: Ein breites Themenspektrum galt es auf dem Podium zu diskutieren – und unterschiedliche Positionen herauszuarbeiten. Hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft. 60 Minuten – und keine Sekunde Langeweile.
Am Ende der von mir moderierten Runde waren sich alle einig (der Traum eines jeden Moderators): Gesunde Ernährung ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, findet aber bislang zu wenig Beachtung. Eine Steilvorlage für die weitere Arbeit des Kompetenzclusters für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD), in dem ich unter anderem das Kommunikationsbüro leite und den Fachbereich Ernährungskommunikation verantworte.
Übergewicht tötet mehr Menschen als Corona
Prof. Dr. Matthias Blüher (Leiter der Adipositas-Ambulanz am Universitätsklinikum Leipzig und Direktor des Helmholtz-Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung) machte dies an einem aktuellen Gesundheitsthema deutlich: „Der Corona-Virus führt momentan zur Schließung von Millionenstädten, dabei ist die Zahl derer, die an den Folgen von Übergewicht sterben, deutlich höher.“ Ein Grund dafür sei vermutlich, dass der Tod bei manchen Virus-Infektionen innerhalb von wenigen Wochen drohe, bei falscher Ernährung könnten mehrere Jahrzehnte vergehen, bis sie zum Tod führe. Dadurch verdrängten die Menschen gern die Risiken, die damit einhergingen. Zudem zeige sich ein weiteres Problem: „Verzicht ist nicht attraktiv, ein Mehr an Bewegung schlicht unbequem.“ Dabei wüssten die Verbraucher eigentlich sehr viel über gesunde Ernährung, es gebe jedoch ein Umsetzungsdefizit.
Die Lebensmittelindustrie, so Thibault Heck, sei daran nicht ganz unschuldig, denn sie erwirtschaftet riesige Gewinne mit ungesunden Lebensmitteln und Zutaten wie dem billigen Zucker. Heck arbeitete lange Jahre in der Ernährungsindustrie und ist heute Start-up-Investor. „Der Mensch will belogen werden.“ Zudem stellten schwarze Schafe in der Industrie, in der viel zu selten kontrolliert werde, den eigenen Profit über die Gesundheit der Verbraucher. Der sei durch die Komplexität des Themas bisweilen aber auch überfordert. „Es ist frappierend, wie wenig Geld in Deutschland für Lebensmittel ausgegeben wird“, meinte er.
Wert von Lebensmitteln besser kommunizieren
Damit rannte er bei Michael Weichert offene Türen ein. „Wir müssen weg von billig“, forderte der langjährige sächsische Landtagsabgeordnete (Bündnis 90/Die Grünen). Würden Lebensmittel das kosten, was sie eigentlich wert seien, würden vermutlich wesentlich weniger davon vernichtet, weil sie angesichts der billigen Preise derzeit zu viel eingekauft würden. Zudem sei es mehr als sinnvoll, den Fleischkonsum zu reduzieren und, wenn doch, auf regionale Produktion zurückzugreifen, auch wenn dies eventuell teurer sei. Ein Schritt in die richtige Richtung sei es aus seiner Sicht, die in der Landwirtschaft ausgereichten Subventionen zurückzufahren, die nur den Großbetrieben wirklich zu Gute kämen.
Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass es deutlich mehr Bildung im Zusammenhang mit gesunder Ernährung geben muss. „Das Ernährungsverhalten hierzulande orientiert sich immer noch an der industriellen Epoche, aber heute malocht ja keiner mehr so wie damals“, sagte der Journalist und Buchautor Jörn Kabisch. Auch Heck und Weichert schlossen sich der These an, wonach mehr Wissen über Ernährung vermittelt werden müsse. Dabei machte Weichert ein gravierendes Defizit aus: „Die heutige Eltern- und Lehrergeneration hat es ja selbst nicht mehr gelernt.“ Es müssten nicht bloß Informationen vermittelt, sondern vielmehr Werte rund um Ernährung stärker in den Fokus rücken.
Eine Diskussion mit viel Gesprächsstoff für die rund 100 Gäste auf dem Mediencampus Villa Ida in Leipzig anlässlich der Clustervollversammlung Ende Januar 2020. Neben Mitgliedern des Clusters und Projektpartnern kamen auch Vertreter der beteiligten Universitäten Halle, Jena und Leipzig, den Ministerien der drei Bundesländer und des Projektträgers DLR sowie des wissenschaftlichen Beirates.
(Text: Jörg Aberger, Fotos: Swen Reichhold)